„Die heutigen Herkunftssprecher sind geprägt durch die Transmigration; Sie sind multilokale Persönlichkeiten.“
In der vierten Sitzung der Ringvorlesung konnten wir einen Vortrag über das Forschungsprojekt „Russische und polnische Herkunftssprecher als Ressource in Schulunterricht“ von Prof. Dr. Brehmer und Prof. Dr. Mehlhorn hören. Dieses Projekt untersucht, wie sich die Mehrsprachigkeit unter den Herkunftssprechern des Polnischen und Russischen entwickelt und welche Rolle die Familie und Schule dabei einnehmen. Untersucht werden dabei Jugendliche im Alter von 12 bis 14 Jahren, die entweder bereits in Deutschland geboren oder vor der Einschulung nach Deutschland eingereist sind. Ein großer Teil der Probanden besucht den Unterricht in ihrer Herkunftssprache. Im Vorfeld der weiteren Ausführung wurde der Begriff des Herkunftssprechers erläutert: Diese sind bilingual aufgewachsen, lernen die Herkunftssprache ihrer Eltern oder eines Elternteils, werden aber durch begrenzten Input nie ein muttersprachliches Niveau erreichen. Der Fokus der Vorlesung lag auf polnischen Familien mit Kindern aus Berlin. Die Datenerhebung für das Projekt erfolgte zunächst durch separate Interviews mit den Kindern und den Eltern, in denen personenbezogene und soziale Merkmale festgehalten wurden. Auch der schulische Kontext wurde mit Lehrenden der Herkunftssprache miteinbezogen. Der familiäre Kontext der Kinder ist meist geprägt durch den Kontakt zu Polen, insbesondere Familienbesuche, Reisen, polnischsprachige Medien, Traditionen und Küche. In den Gesprächen mit den Eltern wurden auch die Vor- und Nachteile des Spracherwerbs abgefragt. Zweisprachigkeit wurde hier als erstrebenswertes Ziel genannt, aber die Sorge vor kognitiven und emotionalen Problemen durch den Spracherwerb der Herkunftssprache im schulischen Bereich als Nachteil eingestuft. Dabei konnte festgestellt werden, dass auch bereits die Eltern Elemente von Sprachmischungen beider Sprachen vorweisen können. Im zweiten Schritt der Datenerhebung wurden viele Tests mit den Kindern durchgeführt, um die Kenntnisse der Herkunftssprache zu erfassen. Dazu gehörten Wortschatz-, Benenn-, Synonym-, und Vokabeltests. Des Weiteren wurden zusätzlich Hör- und Leseverstehen und das Vermessen der Sprachgeschwindigkeit dazu gezogen. Die Ergebnisse der elf Probanden variierten zwar stark, in der Auswertung konnte aber festgestellt werden, dass am besten diejenigen abgeschnitten hatten, die neben dem familiären Kontext auch einen Unterricht in ihrer Herkunftssprache besuchen. Die Sprachdominanz lag nicht destotrotz bei allen in der deutschen Sprache. Ein weiterer wichtiger Aspekt der die Problematik der Identität durch Fremdzuschreibungen oder Selbstzuschreibungen. In Polen werden muttersprachliche Kompetenzen von den Herkunftssprechern erwartet, die zu Konfrontation mit sprachlichen Defiziten führen können. Auch wurde das niedrige Prestige der Sprache als Nachteil genannt oder das Gefühl der Stigmatisierung durch akzentbehaftetes Deutsch der Eltern. Dies knüpft an den Titel der Vorlesung an, weil die Probleme zur Vermeidung der Herkunftssprache führen können, sodass die Polen zu einer unsichtbaren Minderheit in Deutschland werden.
Autorin: Anna Kusa