Die Multilingualität der Literatur aus Zentraleuropa

„Die Gegner von Übersetzungen verneinen jede Form von sprachlicher Übertragung, sehen sie doch darin einen Akt kultureller Gewalt.“

In der vorletzten Sitzung unserer Vorlesungsreihe hatten wir Besuch von Frau Prof. Dr. Renata Makarska von der Johannes Gutenberg-Universität Mainz. Nach einem Überblick über die Tradition der Multilingualität in der zentraleuropäischen Literatur und dem Aufzeigen von Gründen, die die Verwendung von Mehrsprachigkeit motivieren, benannte Frau Makarska die Funktionen und schließlich die Formen textueller Multilingualität. Abgeschlossen wurde der Vortrag mit einem Hinweis auf die Problematik der Übersetzung mehrsprachiger Texte.

Der Gebrauch von mehreren Sprachen in einem Text galt lange Zeit als verpönt, von Barbarismen war sogar die Rede. Etwas anders sieht es allerdings in einigen zentraleuropäischen Ländern aus. In Polen z.B. war es in der Zeit des Barock gang und gäbe lateinische (aber auch italienische oder französische, ja nach kultureller Relevanz der Sprache und Kultur) Morphologie und/oder Syntax in die polnischen Texte einfließen zu lassen. Diese Praxis, als Makkaronismen oder Makkaronische Dichtung bekannt, war auch in Deutschland verbreitet, wo sie im 16. und 17. Jahrhundert ihre Blütezeit erlebte. Noch heute ist dieses Phänomen im deutschen Sprachraum zu beobachten, wobei es vorzugsweise das Englische ist, das vor allem in der gesprochenen Sprache ihren festen Platz hat.

Die Gründe für Mehrsprachigkeit in der Literatur können vielfältig sein. Sie kann zur Charakterisierung von Figuren dienen und dem Leser nicht nur über ihre Herkunft Auskunft geben. Sie kann auch als ein Lokalisierungsfaktor dienen, der die Geschichte und ihre Figuren kulturell und geographisch einordnet. Eine weitere Funktion kann der Humor und, damit eng verbunden, die Kritik an der Sprachpolitik und der Kultur des jeweiligen Entstehungsraums des Textes sein. Oft ist es das Ziel der Autoren, die sprachlichen Automatismen zu unterbrechen und die Archivierung eines Lebensraums zu erzeugen. Nicht selten kann Mehrsprachigkeit als eine Protestform gegen die vermeintliche Bravheit der standardisierten Sprache betrachtet werden.

Multilingualität in Texten kann sich in Form von Zitaten oder Redewendungen manifestieren, die im Text nicht weiter erläutert werden (hier würde man von Barbarismen sprechen). Eine weitere Form ist die Parallelität der Sprachen: Ein fremdsprachiger Satz oder Absatz wird unmittelbar dahinter übersetzt wiedergegeben. Die „hybriden Sprachen“ meinen Sprachen, die ineinanderfließen und eine Mischform bilden, die der autokulturelle Leser (also der Leser, der die im Text verwendete Fremdsprache nicht beherrscht) durchaus in der Lage ist, zu verstehen. Die vierte Form der textuellen Mehrsprachigkeit ist die phonetische Schreibweise (z.B. „Aj dont nou“ für „I don´t know“).

Einige zentraleuropäische Autoren, die mit Multilingualität arbeiten, wären: der tschechische Dichter Radek Fridrich, der polnische Lyriker Eugeniusz Tkaczyszyn-Dycki, der Tscheche Jan Vrak sowie der polnische Schriftsteller Szczepan Twardoch. Auch im Comic ist die Mehrsprachigkeit angekommen, so z.B. im tschechischen Comic Alois Nebel von Jaroslav Rudiš und Jaromir 99.
Vor einem großen Problem stehen die ÜbersetzerInnen multilingualer Texte. Soll die Mehrsprachigkeit übersetzt (und wenn ja, wie?), schlicht übernommen (das Verstehen des Textes wird dadurch nicht erleichtert) oder einfach ignoriert werden? Die Gegner von Übersetzungen verneinen jede Form von sprachlicher Übertragung, sehen sie doch darin einen Akt kultureller Gewalt. Übersetzungen haben in der Tat eine politische Dimension und sollten mit Bedacht angegangen werden. Ideal wäre eine enge Zusammenarbeit des Übersetzers mit dem Autor, aber das kann leider nicht immer bewerkstelligt werden.

Autor: Tomasz Gralla