Oral Histories – Workshop: Wonach suchen wir?

Vor einigen Wochen fand unser zweiter Workshop im Rahmen des Projekts statt. Dieses Mal ging es direkt an die Materie der Oral History. Geleitet wurde unser Workshop von einer Oral History Expertin aus Uppsala in Schweden – Dr. Imke Hansen, deren Forschungsschwerpunkt unter anderem auf osteuropäischer Geschichte des 20. Jahrhunderts liegt.

  • Was ist die Grundidee von Oral History?
  • Was muss man beachten, wenn man eine Oral History schreiben möchte?
  • Wie bereitet man sich vor und wie sucht man die Interviewpartner aus?

Diese und viele andere Fragen schwirrten in unseren Köpfen. Aus ihrer Erfahrung konnte Dr. Imke Hansen uns so einige Tipps und Tricks rund um Oral History-Interviews geben.

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„Wir suchen nicht nach Fakten, sondern nach der Wahrheit zwischen den Fakten.“

Studs Terkel

Mit diesen Worten des US-amerikanischen Schriftstellers und „Oral Historians“ wurde unser Workshop eingeleitet, um das genaue Ziel unserer zukünftigen Oral Histories vor Augen zu haben. Um die Schwierigkeiten eines Interviews aufzuzeigen und zu lernen, damit in der Praxis besser umzugehen, haben wir zwei sehr spannende Übungen gemacht:

Bei der ersten Übung durfte man seinen Nachbarn interviewen. Klingt nicht wirklich außergewöhnlich? Das war es jedoch! Jeder sollte nämlich sein Schlüsselbund aus der Tasche holen und sich für den wichtigsten Schlüssel entscheiden. Danach wurde man zu genau diesem Schlüssel interviewt. Jetzt denkt sich so mancher: „Na, der Haustürschlüssel ist der wichtigste, das ist doch klar!“. Falsch! Neben den Haustürschlüsseln gab es auch noch den Autoschlüssel, einen Kofferschlüssel, einen Spindschlüssel, ein Schlüssel aus vergangenen Tagen, der nicht mehr in Gebrauch ist, sowie Schlüssel, die streng gesehen keine Schlüssel sind. Man erfuhr also einige Geschichten, die man möglicherweise bei einem gewöhnlichen Interview so nicht erfahren hätte. Außerdem musste man sich als Interviewer spontan interessante Fragen zu einem Schlüssel überlegen, was nicht so einfach war.

Die zweite Übung war auch sehr tricky. Hier mussten wir in Zweiergruppen einem Partner ein Bild beschreiben. Dabei saßen wir mit dem Rücken zueinander und hatten dementsprechend keinen Blickkontakt. Das Bild musste der Partner dann zeichnen unter der Bedingung, dass dieser weder verbal noch nonverbal kommunizieren darf. Also kein „Mhm“, „hm“, kein Nicken oder Ähnliches. Für den Interviewer einer Oral History ist es sehr wichtig zu schweigen, während der Interviewte seine Geschichte erzählt. Die Assoziationskette der Erinnerungen, welche jeder Mensch individuell bindet, darf nicht unterbrochen werden. Diese Übung hat gezeigt, dass man vor allem ein guter Zuhörer sein muss und das heißt: reden lassen und eventuell Notizen machen. Wenn der Interviewte dann mit seinem Part fertig ist, kann nachgefragt werden, aber nicht vorher.

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Der Workshop hat uns Studierenden auf jeden Fall dabei geholfen, erste Ideen für unsere eigenen Oral History Interviews zu sammeln und einige Fehler zu vermeiden. Wir bedanken uns hier nochmals bei Dr. Imke Hansen für den Workshop und die Erfahrung, die wir daraus mitnehmen durften!


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Imke Hansen absolvierte das Studium der Politikwissenschaft, Geschichte und Osteuropastudien an den Universitäten Hamburg und Krakau. Vor der Veröffentlichung ihres Buches „Nie wieder Ausschwitz! Die Entstehung eines Symbols und der Alltag einer Gedenkstätte“ arbeitete sie im staatlichen Museum in Auschwitz-Birkenau. Sie war bereits an mehreren Oral History Projekten beteiligt, unter anderem an dem Mauthausen Survivors Research Project (2007-2010), wo sie Oral History Interviews durchführte und analysierte. Aktuell fokussieren sich ihre Forschungen auf die Transformation der Ethik im Kontext der Verfolgung und des Genozids. Sie ist Dozentin für Geschichte an der Uppsala University in Schweden.