Figuren des Transnationalen: „Zigeuner“ in der Gegenwartsliteratur

Der Vortrag von Prof. Dr. Doerte Bischoff stellte auf eine spannende Art und Weise die größte in Europa lebende Minderheit vor: die Roma. Für die meisten ist es heutzutage eine Selbstverständlichkeit, diese Minorität Roma zu nennen, manche bezeichnen sich jedoch lieber als „Zigeuner“, diese Erfahrung hat auch Frau Dr. Bischoff gemacht. Der Vortrag stellte hauptsächlich die Repräsentation, also das Bild der Roma in Europa, die Inklusion und Exklusion dar. Die Roma sehen sich selbst als Volk ohne Staat und wurden innerhalb des Staatenbildungsprozesses somit zum Opfer von Exklusionsprozessen. Mit Hilfe von Instrumenten, wie beispielsweise der Sprachencharta von 1992, wurde die Inklusion dieser Minderheit in die europäische Gemeinschaft erzwungen. Um den Status dieser Minderheit in der europäischen Gesellschaft genauer einordnen zu können, sollte man wissen, dass Europas Identität durch Homogenität, Einheitlichkeit und Gleichschaltung geprägt ist. Beim Homogenitätsparadigma gibt es keine wesentlichen Unterschiede zwischen Ost- und Westeuropa, der Antiziganismus und Philoziganismus zieht sich konsequent durch alle europäischen Staaten. Die Auslöschung von Differenz, die Vertreibung, Verfolgung und Vernichtung von Minderheiten spielen in der europäischen Geschichte eine zentrale Rolle. In Verbindung damit lässt sich die Verschiebung von sozialen Differenzen auf biologische Merkmale bringen, die gleich dem Rassismus gegenüber stehen. Findet dieses Modell Anwendung auf kulturelle Merkmale besteht eine Form des kulturellen Rassismus. Eines der wohl schwerwiegendsten Verbrechen gegen die Roma wurde am 29. Januar 1943 vollzogen, als die Anweisungen der Reichskriminalpolizei zur Deportation der „Zigeuner“ veranlasst wurde und eine Sterilisation ab 12 Jahren vorgesehen wurde. Fatal war daher auch das Zeitalter der Staatenbildung für die Roma in Europa. Die ersten Staaten im modernen Sinne bildeten sich in Europa im 17. Jahrhundert heraus. Im 19. Jahrhundert entstanden dann die ersten Staaten mit nationalsozialistischem Charakter. Staaten bedeuteten Grenzen, Anpassung und Einfügung in das System und standen somit konträr zur Lebensweise der Roma. Das Bild der Roma lässt sich nach Sander Gilman in Europa in folgende Stereotype zusammenfassen: Nicht sesshaft, unzuverlässig, kriminell, unzivilisiert, nicht assimilierbar, kinderstehlend. Diesem negativen Bild steht gleichzeitig die Idealisierung und Romantisierung der Roma gegenüber. Das nicht sesshafte wird dabei als freiheitsliebend empfunden und die nicht assimilierbare Komponente wird mit dem positiven Aspekt der geschlossenen und damit starken inneren Gemeinschaft verbunden.

Drastisch ist auch die Benachteiligung von Minderheiten in der EU in Form der Verweigerung von Zugangs- und Partizipationsrechten. Diese können in Form der einschließenden Ausschlüsse auftreten und sehen beispielsweise die Zulassung zum Militärdienst, zum Wandergewerbe oder zur Nischenwirtschaft vor. Zudem zeigen Untersuchungen, dass eine unzureichende Infrastruktur und versorgungstechnische Probleme, vor allem in Osteuropa, zu einer geringeren Lebenserwartung der Roma von 10-15 Jahren im Gegensatz zu anderen EU-Bürgern führen.

Die Roma, als stigmatisierte Personen in der Kunst und in fiktionalen Texten stellten ebenfalls einen wichtigen Themenschwerpunkt des Vortrages dar. Im Zusammenhang damit stellte Prof. Dr. Doerte Bischoff literarische Texte vor, die sich mit den Roma als Volk auseinandersetzen oder einzelne Charaktere in der Handlung thematisieren. In Dimitré Dinevs Engelszungen, wurde beispielsweise die Geschichte Bulgariens im 20./21. Jahrhundert aus der Perspektive eines Migranten erzählt. Zusätzlich zu den Roma als Teil der bulgarischen Gesellschaft mit eigenen Lebensweisen, wurde noch die Funktion der Roma für die Gesamtgesellschaft verdeutlicht. Eine Nation hat keine materielle Existenz und muss daher performativ hervorgebracht werden, dies gelingt durch Eingrenzung und Ausgrenzung, durch Unterscheidung der Zugehörigkeit und Nicht- Zugehörigkeit zwischen Eigenem und Fremden. Zudem wurde die Begriffsverwendung Zigeuner bzw. Roma von Literaturwissenschaftlern in Dimitré Dinevs Engelszungen untersucht. Interessant dabei ist, dass sich die Literatur genau wie die Gesellschaft, an den politisch korrekten Begriff Roma hält. Verhältnismäßig haben wir dabei eine Verwendungsanzahl von 15 mal Roma, zu 2 mal Zigeuner und dies, obwohl am Anfang schon angeführt wurde, dass diese Minderheit selbst den Begriff Zigeuner bevorzugt. Laut Herbert Uerlings und anderen ist eine bloße Betrachtung der Roma mit Blick auf den Völkermord während des Zweiten Weltkrieges nicht möglich, andererseits ist eine Sichtweise ohne diesen Aspekt ebenfalls nicht vorstellbar und damit ausgeschlossen.

AutorIn: Claudia Wasik