Der Weg in die Wissenschaft

„Da der Weg, den man wählt, so riskant ist,  muss man einen Antrieb haben, der in der Sache selbst liegt“ 

Ein Interview mit Prof. Dr. Anja Tippner 

Prof. Dr. Anja Tippner studierte Slavistik, Germanistik und Anglistik in Frankfurt a.M., Hamburg und Leningrad. Darüber hinaus war sie Lektorin an der Karls-Universität in Prag für das Fach Deutsch als Fremdsprache. Sie promovierte in Hamburg, wo sie ebenso ihre Habilitation ablegte. Seit 2011 ist sie in Hamburg Professorin für slavistische Literaturwissenschaft. Die Slavistikstudentinnen Julia Wrono und Paula Skriebeleit haben sich im Rahmen der digitalen Vortragsreihe „Was kommt nach dem Studium? Berufsfelder für OsteuropaexpertInnen“ mit Prof. Dr. Anja Tippner über ihren Karriereweg und Berufsalltag unterhalten.  

Was hat Sie dazu bewegt Slavistik zu studieren? 

Als ich angefangen habe Slavistik zu studieren, habe ich genau das gedacht, was viele meiner Studierenden denken. Ich wollte erstmal nur Russisch lernen. Ich wollte neben den Sprachen, die ich in der Schule gelernt habe, noch eine weitere Sprache lernen, die nicht alltäglich ist. Ich habe mich immer für russische Literatur und für Osteuropa interessiert. Ich muss aber auch ehrlich sagen, dass ich nicht besonders konkrete und genaue Vorstellungen davon hatte, was eigentlich ein Slavistik–Studium ist. Mir ist erst im Laufe des Studiums klar geworden, worauf ich mich da eingelassen habe. Aber ich habe es keinen Tag bereut. Ich bin eigentlich Germanistin und habe Slavistik nur im Nebenfach studiert. Schon während meines Studiums ist Slavistik immer wichtiger geworden und am Ende habe ich zwar in der Germanistik meinen Abschluss gemacht, mich aber schon innerlich von der Germanistik verabschiedet, weil ich mich eher als Slavistin gefühlt habe. Das war für mich ein interessanterer Arbeitsbereich, der mir mehr Wege eröffnet hat als die Germanistik. 

Sie haben 1995 promoviert und erreichten 2002 Ihre Habilitation. Vielleicht könnten Sie uns etwas von dem Vorgang erzählen und wie Ihre Erlebnisse dabei waren? 

Ich habe angefangen zu studieren und hatte eigentlich den Wunsch, in einem Verlag zu arbeiten. Ich wollte gerne Lektorin werden, am besten bei Suhrkamp oder Hanser. Gleichzeitig schien mir auch das ziemlich unerreichbar, weil die Konkurrenz groß war und wir sehr viele Studierende waren. Im Laufe des Studiums habe ich festgestellt, dass die wissenschaftliche Arbeit mir wirklich großes Vergnügen bereitet – dass ich gerne schreibe, recherchiere oder im Archiv der Bibliothek arbeite. Ich habe aber dennoch nicht daran gedacht, in die Wissenschaft zu gehen. Das kam erst nach dem Examen, weil ich sehr positives Feedback bekommen habe. Meine Professoren und Professorinnen, bei denen ich die Prüfung gemacht habe, haben alle vorgeschlagen, dass ich bei ihnen promovieren könnte. Da habe ich zum ersten Mal gedacht, dass das auch eine Option für mich wäre. Ich habe nach dem Examen an der Universität in Prag gearbeitet und dort ein Seminar und Sprachkurse gegeben. Das hat mich sehr gestärkt in dem Wunsch an der Universität zu bleiben. Während ich in Prag war, habe ich meinem Promotionsprojekt gearbeitet und, dir überlegt was ich machen will. Ich habe mich um ein Stipendium für die Promotion beworben, gleichzeitig habe ich mich auch Verlagen, beim Goethe–Institut und auch noch bei der Zeitung beworben. Ich stand vor der schönen Wahl, dass ich a) das Stipendium für die Promotion und b) ein Volontariat bei Kiepenheuer und Witsch bekommen habe. Außerdem wurde ich beim Goethe–Institut beim Auswahlseminar genommen. Ich habe mich schließlich für die Promotion entschieden und mit dem Stipendium promoviert. Das war sehr schön und hat vor allem wahnsinnig viel Spaß gemacht. Ich habe dann eine Assistentenstelle an der Universität Kiel bekommen. Nach der Promotion war die Wissenschaft mein Karriereweg. Von 1995 bis 2006 war ich in Kiel: In dieser Zeit habe ich meine Habilitation geschrieben. Danach war ich vier Jahre lang Oberassistentin, bis ich dann eine Stelle in Salzburg bekommen habe.  

Warum wählten Sie eine Professur in der Literaturwissenschaft und nicht in der Linguistik? Was gefällt Ihnen am meisten an der Literaturwissenschaft? 

 Als ich angefangen habe zu studieren, hat mich alles interessiert. In Frankfurt, wo ich angefangen habe zu studieren war die Linguistik ganz groß. Während meines Magisterstudiums habe ich mich genau so viel mit Linguistik beschäftig, wie mit Literaturwissenschaft. Aber je länger ich studiert habe, desto mehr hatte ich das Gefühl, dass in der Sprachwissenschaft immer sehr viel reproduziert wird, sodass ich viel weniger Möglichkeit hatte selbst kreativ zu interpretieren und zu analysieren. Der zweite Grund ist, dass ich einfach wahnsinnig gerne lese, ich liebe Literatur, sonst hätte ich mir nicht überlegt Lektorin zu werden. Der dritte Grund war, dass die Literatur ein Fenster in die russische oder polnische Welt eröffnet hat und ich sehr viel lerne, wenn ich Texte lese. Das alles zusammengenommen war der Grund, dass ich nicht Linguistin, sondern Literaturwissenschaftlerin geworden bin. 

Welche Vor- und Nachteile sehen Sie im Berufsfeld der Osteuropastudien? 

Das Profil eines Absolventen oder einer Absolventin der Osteuropastudien ist sozial-gesellschaftswissenschaftlich–historisch, während das Profil eines Slavistik–Studenten eher kulturwissenschaftlicher ist. Sie gehen in die Bereiche wie Verlage, Kultur- oder Öffentlichkeitsarbeit, Während Osteuropa-Absolventen in Bereiche wie Politikberatung oder Wirtschaft gehen. Es gibt sehr viele politische und wissenschaftliche Stiftungen, da macht es keinen Unterschied, ob man SlavistIn oder OsteuropaexpertIn ist. Meiner Erfahrung nach hängt es von Zufällen und Interessen ab, wo man landet. Es ist sehr wichtig, dass man die eigenen Interessen auch verfolgt, weil nur dann gut ist, und das auch überzeugend vertreten kann.  

Welche Fähigkeiten sollte man mitbringen, wenn man in der Wissenschaft arbeiten will?  

Neugier, Kritikfähigkeit, Debattierfreude – das sind für mich zentrale Eigenschaften, die man braucht. Außerdem sollte man ein gewisses Sitzfleisch haben – man muss einfach viel arbeiten, lesen und schreiben. Vielleicht braucht man auch so eine gewisse Monomanie. Man muss auch die Fähigkeit besitzen sich in etwas festbeißen zu können. Das können dann auch Dinge sein, die nicht besonders populär sind. Man muss einfach sein eigenes Thema finden. 

Wie sieht die Konkurrenzlage in der Wissenschaft aus? 

Zu promovieren und auf die ein oder andere Art in der Wissenschaft zu sein, das ist nicht so kompliziert, da ist die Konkurrenz nicht übermäßig groß. Das wahre Nadelöhr kommt nach der Promotion in der Postdoc-Phase. Die nächste Hürde ist dann die Professur. Professuren gibt es noch weniger als Postdoc-Stellen und es gibt auch nicht so viele Stellen unterhalb der Professur.  Wenn man sich also nach der Promotion entscheidet diesen Weg zu gehen, muss man in Kauf nehmen, dass man eventuell scheitert. Es wird nicht zwangsläufig in einer Berufstätigkeit an der Universität oder in einer Professur enden.  Ungeachtet dessen gibt es im weiteren Kontext der Universität auch für Habilitierte und Postdocs durchaus Stellen und Positionen. Es ist nicht so, dass dann alles vergebens ist und man nach dieser langen Zeit der Qualifikation Taxi fahren muss.  Meinen Doktoranden und Doktorandinnen und Postdocs sage ich immer: Man muss sich in jedem Moment fragen, „Will ich das?“, „Ist das der richtige Schritt?“ Wir haben gerade darüber gesprochen was man für eine wissenschaftliche Karriere mitbringen sollte. Ich glaube, was man vor allem braucht ist eine intrinsische Motivation. Da der Weg, den man wählt, so riskant ist, muss man einen Antrieb haben, der in der Sache selbst liegt. 

Sie waren im Laufe Ihres Studiums als auch während ihrer Karriere in unterschiedlichen Städten [Hamburg, Leningrad/Sankt Petersburg, Prag, Kiel, Salzburg, New York, Anm. d. Red.] tätig. Wie kam es dazu? Würden Sie sagen, dass es ein wichtiger Bestandteil des Karrierewegs in der Wissenschaft ist? 

Das ist eine gute Frage und auch einer der Gründe, warum viele Leute vor einer Karriere an der Uni zurückscheuen. Eine gewisse Mobilität ist hier tatsächlich vorausgesetzt. Es dauert sehr lange bis man eine feste Stelle hat, sodass alle meine Kollegen und Kolleginnen mehrfach die Universität und damit auch den Wohnort gewechselt haben. Es hat auch etwas für sich, wenn man verschiedene Universitäten von innen kennt. Das macht einen etwas unabhängiger und freier, auch im Geist. Manchen Leuten fällt es aber auch schwer, die ziehen nicht gerne um. Ich persönlich habe das meistens nicht als Belastung, sondern eher als Bereicherung empfunden.  

Sie sind als Professorin an der Universität Hamburg tätig als auch in unzähligen Funktionen und Forschungen. Wie sieht der Berufsalltag bei Ihnen aus?  

Wie fang ich denn da an?! Mein Arbeitsalltag, das ist das Großartige an meinem Beruf, ist sehr abwechslungsreich. Ich erstarre eigentlich nie in Routinen. Die Arbeit als Professorin umfasst einerseits die Lehre, und das ist ein großer Teil meiner Arbeitszeit. Ein anderer Teil meiner Arbeitszeit ist der Forschung gewidmet, dem Schreiben und Rezensieren und dem Arbeiten an verschiedenen Buch- und Forschungsprojekten. Außerdem gibt es einen nicht unerheblichen Teil Verwaltungsarbeit – das ist das, was mir am wenigsten Spaß macht. Zudem gibt es den Bereich der Gremienarbeit. Hier beschäftigen wir uns mit Fragen, wie bspw.: „Wie könnte ein Studium aussehen?“, „Wie wollen wir als Slavistinnen und Slavisten in der Politik gehört werden?“ oder „Welche Botschaften wollen wir übermitteln?“. Ein weiterer Aspekt meines Berufes ist, dass ich mir meine Zeit selbst einteilen kann. Das hat dann den Effekt, dass oft zu viel und zu lange gearbeitet wird, und dass die Grenze zwischen Arbeit und Freizeit nicht immer so ganz deutlich ist. Ich empfinde das als etwas Positives, aber ich sehe auch, dass es Leute gibt, die das eher als negativen Aspekt dieses Berufes betrachten würden. 

Würden Sie sagen, Sie haben alle Freiheiten, wenn es um die Wahl eines Forschungsgegenstandes geht? Schließen Sie sich oft bereits laufenden Forschungen an oder leiten Sie meist die Initiative ein? 

Es gibt die Freiheit der Wissenschaft und der Lehre. Ich bin durch den Lehrplan gebunden, aber kann im Prinzip selbst entscheiden welche Lehrveranstaltungen ich anbiete. Das ist klasse und in der Forschung ist es im Prinzip genauso. Ich entscheide, zu welchen Themen ich arbeite, was mich interessiert, welche Forschungsthemen ich für relevant erachte.  Aber es ist nun mal so, dass es auch äußere Faktoren gibt, die die Forschung mit beeinflussen. Wir werden inzwischen an der Universität sehr stark danach beurteilt, wie viel Drittmittel-Gelder wir einwerben. Das bedeutet dann auch, dass ich mich manchmal mit Themen auseinandersetze, die ich mir selbst vielleicht nicht unmittelbar ausgesucht hätte, weil es aus Instituts- und Forschungsstrategischen Gründen sinnvoll ist sich damit zu befassen. Es ist also nicht nur das, was mich interessiert, sondern manchmal auch das, was für das Institut gut oder notwendig ist. 

Text:
Redaktion: Natalie Zivković

Wir danken den Moderatorinnen und Frau Prof. Dr. Tippner ganz herzlich für dieses Gespräch