Der Weg in die Literaturübersetzung
„Ich würde empfehlen, sich in diesem Beruf auszuprobieren, nicht von vornherein zu sagen, ich möchte Übersetzer werden. Mit der Einsamkeit am Schreibtisch muss man auch umgehen können, das muss einem liegen.“
Thomas Weiler ist einer der erfolgreichsten Literatur-Übersetzer aus dem Polnischen und Russischen. Nach seinem Ersatzdienst in Minsk, Belarus, entschied er sich für ein Übersetzerstudium. Es folgten Stationen an der Universität Leipzig, an der Humboldt Universität zu Berlin, sowie an der Staatlichen Universität St. Petersburg. Seit 2007 arbeitet er als freier Übersetzer aus dem Belarussischen, Russischen und Polnischen mit Schwerpunkt Kinderliteratur. Thomas Weiler wurde unter anderem mit dem Förderpreis zum Straelener Übersetzerpreis, dem Deutschen Jugendliteraturpreis, und dem Karl-Dedecius-Preis ausgezeichnet und ist Mitglied des Verbands deutschsprachiger ÜbersetzerInnen literarischer und wissenschaftlicher Werke e.V. (VdÜ).
War Ihnen schon während des Freiwilligendiensts in Minsk bewusst, dass Sie Übersetzer werden wollen oder war das eher eine spontane Entscheidung?
Da kam irgendwann dieses Bewusstsein, also mir war dann schon klar. Ich möchte eigentlich in die Literaturübersetzung gehen, will da irgendwie hinkommen. Es war die Frage, wie ist der Weg dorthin? Das Ziel war relativ klar, aber der Weg dorthin war mir zunächst völlig unklar. Ich habe dann versucht, für mich den richtigen Weg zu finden. Da es das Studium zum Literaturübersetzer in der Form nicht gibt, oder für das Russische in jedem Falls nicht gibt, musste ich dann irgendwie einen eigenen Weg suchen.
Und wie vertiefen Sie Ihr wissen?
Das ist die Herausforderung, irgendwie dran zu bleiben, an den Sprachen, viel zu lesen, zu rezipieren, was aktuell geschrieben wird, gar nicht nur die Literatur, sondern in allen möglichen Blogs, sozialen Medien. Worüber wird gesprochen, wie entwickelt sich die Sprache weiter. Das ist ganz zentral, einfach dran zu bleiben und immer weiter zu lesen. Sowohl in den Fremdsprachen, also für mich die slawischen Sprachen, aus denen ich übersetze, als auch in der Muttersprache. Das ist vielleicht noch wichtiger.
Würden Sie Studierenden empfehlen, sich mit dem Berufsfeld der Übersetzungen auseinanderzusetzen?
Ich würde empfehlen, sich in diesem Beruf auszuprobieren. Nicht von vornherein zu sagen, ich möchte Übersetzer werden, sondern das für sich selbst rauszufinden. Ist das was, was mir tatsächlich liegt? Und sich sehr klar zu machen, was das bedeutet, was dieser Beruf mit sich bringt. Das literarische Übersetzen ist freiberufliches Dasein. Das muss man sich klar machen, ob man das will, ob das für einen vorstellbar ist und ob man mit der Tätigkeit klarkommt. Das kann man nur über das Tun herausfinden. Dann gibt es im Studium vielfältigste Möglichkeiten sich einfach Texte zu suchen, die einen interessieren und die noch nicht übersetzt sind, sich auszuprobieren, was passiert, wenn ich versuche, den Text aus meiner Studiensprache in meine Muttersprache zu bringen. Das ist üblicherweise der Weg, dass man in die Muttersprache übersetzt. Ich kann es empfehlen, weil es der richtige Beruf für mich ist. Ich fühle mich sehr wohl damit, auch nach den Jahren, die ich es schon mache, habe ich die Entscheidung nie bereut. Ich kann aber nicht grundsätzlich sagen: Mach das auf jedem Fall! Mit der Einsamkeit am Schreibtisch muss man auch umgehen können, das muss einem liegen.
„Meine Aufgabe ist denselben Plot mit allen Merkmalen, die das Original hat, noch mal in meine Sprache zu schreiben. Deswegen würde ich sagen, dass ich auch Autor der deutschen Fassung bin.“
Könnten Sie uns sagen, welche Fähigkeiten man als Übersetzer in den Beruf mitbringen soll?
Ich glaube, das wichtigste für das literarische Übersetzen ist, Versiertheit in der eigenen Muttersprache. Man braucht alle Register, die das Deutsche zur Verfügung hat und muss flexibel sein, alle Möglichkeiten nutzen zu können. Die Ausgangssprachen sind entscheidend und wichtig. Man muss alles mitbekommen können. Da gibt es noch Möglichkeiten, sich für die Zielsprache zu informieren, nachzufragen, zu recherchieren. Man muss die Fremdsprache besonders gut können. Wenn die Fähigkeiten nicht da sind, kann das nicht funktionieren.
Was haben Sie zum ersten Mal professional übersetzt? Wie haben Sie den ersten Auftrag bekommen?
Das erste Mal habe ich für oder gegen Bezahlung noch im Studium während der Zeit in St. Petersburg übersetzt. Da habe ich Übersetzungen für einen Menschen gemacht, der an verschiedenen großen Museen in St. Petersburg und Moskau Audioguides organisiert hat. Diese Audioführung, mit der man durch das Museum geht und sich vor die Kunstwerke stellt, erzählen lassen, was dort zum Sehen ist. Da gaben die Texte auf Russischen und ich habe deutsche Übersetzungen dafür gemacht und dann noch eingesprochen, weil er noch Deutschmuttersprachler brauchte. Das war noch weit weg von der Literatur. Ich glaube, das ist auch normal, dass man nicht mit der Belletristik anfängt, sondern irgendwo bei Gebrauchstexten. Bei mir hat das auch eine Weile gedauert, bis ich tatsächlich sagen konnte: Ich bin Literaturübersetzer.
Hat ein übersetztes Buch zwei Autoren? Würden Sie sagen, dass Sie so ein neues Werk schaffen?
Ich würde sagen, dass ich dem deutschen Text die sprachliche Gestalt gebe. Ich erschaffe das Werk nicht neu, weil die Fabel oder der ganze Plot da ist, den der Autor erdacht hat. Er hat ihn in einer Sprache geschrieben und meine Aufgabe ist denselben Plot mit allen Merkmalen, die das Original hat, noch mal in meiner Sprache zu schreiben. Deswegen würde ich sagen, dass ich auch Autor der deutschen Fassung bin, weil ich den Text gestalte.
Wie läuft der Berufseinstieg in die Literaturwissenschaft ab?
Es gibt nicht einen Punkt, wo man dann plötzlich drin ist, sondern es gibt kleinere Schritte dorthin. Es ist üblicherweise ein Prozess. Ganz wichtig für mich und für viele KollegInnen sind Übersetzerwerkstätten. Das ist eine Art Seminare, Nachwuchswerkstätte, wo man mit erfahrenen Kollegen zusammen an Texten sitzt und so ein bisschen Handwerkzeug mitbekommt. Das ist ganz wichtig, um den Beruf besser zu verstehen, worum es geht, worauf es ankommt. Habe ich die Fähigkeiten dazu? Es geht auch darum, ein Netzwerk zu entwickeln, und Kollegen und Kolleginnen kennen zu lernen. Darüber kommen oft erste kleinere Aufträge, die in die Literaturübersetzung führen.
„Es ist wichtig, dass man aus der Tätigkeit die Befriedigung hat.”
Haben Sie schon eine Übersetzung abgelehnt und was waren die Gründe dafür?
Ich versuche eigentlich nie die Übersetzung einfach abzulehnen, sondern wenn ich merke, dass ich es zeitlich nicht hinbekomme oder dass ich mich nicht kompetent für bestimmten Text fühle, dann schaue ich immer zu, wer mir unter Kolleginnen und Kollegen einfällt, denen ich die Übersetzung weitergeben kann. Das ist ganz wichtig, nicht nur an sich selbst zu denken, sondern auch die Texte weiterzugeben und jemanden anderen profitieren zu lassen. Die LektorInnen sind auch dankbar, wenn sie dann Empfehlungen bekommen. Das ist nicht so, dass viele Übersetzer aus Polnischen zusammenarbeiten und dass sie sofort wissen, wen sie als nächsten anfragen können.
Ist alles übersetzbar? Wann stoßen Sie an Ihre Grenze?
Es ist nicht sinnvoll, alles übersetzen zu wollen. Es gibt Wörter, die in der Sprache bleiben dürfen, aus der sie kommen. Der Grund dafür ist, dass sie so an die Sprache gekoppelt sind, aus der sie stammen. Daher kommen oft keine brauchbaren Übersetzungen heraus. Ich stoße dann an Grenzen, wenn es sich um Sprachspiele, Wortspiele handelt. Dabei muss man herausfinden, welche Entsprechungen die deutsche Sprache anbietet.
Würden Sie behaupten, dass Sie selbst bestimmen können, was Sie übersetzen wollen oder trifft dies nicht zu?
Ich glaube, ich muss nicht alles nehmen, was kommt, aber ich kann auch nicht sagen, ich würde gerne dieses Projekt übersetzen und daraus folgend mich an die Verlage wenden. Es ist häufig so, dass sich die Verlage selbst an mich wenden und ich bin dann bei der Auswahl frei.
Führt kollaboratives Arbeiten Ihrer Ansicht nach zu neuen Erkenntnissen? Ist dies vielleicht eine gute Abwechselung im Team zu übersetzen?
Die Übersetzungswerkstatt ViceVersa hat sich als fruchtbar erwiesen. Da gibt es verschiedene Sprachkombinationen. Bei Werkstätten hat man auch die Möglichkeit, Muttersprachler am Tisch zu haben. Zudem finde ich den Austausch mit anderen Übersetzerinnen und Übersetzern sehr wichtig. Vor allem kommt man dadurch aus der Routine heraus. Man lernt neue Strategien kennen, die andere Übersetzerinnen und Übersetzer benutzen und kann dies gegebenenfalls übernehmen.
Würden Sie sagen, dass der Job generell schlecht bezahlt wird, aber man einen hohen Zufriedenheitsfaktor hat? Sollte man sich eventuell auch eine Nebenbeschäftigung suchen?
Ich kann nur empfehlen, wenn man sich mit den Gedanken trägt, ins Literaturübersetzen zu gehen, Onlineumfragen anzuschauen. Dann kann man ein realistisches Bild bekommen. Generell würde ich sagen, dass es finanziell schwierig ist, sich nur mit dem Literaturübersetzen zu beschäftigen. Es gibt daher viele, die nebenbei woanders tätig sind, da die Bezahlung nicht die Befriedigung verschafft. Zudem muss man sich darauf einstellen, dass man auch häufig übersehen wird. Nicht nur finanziell, sondern auch an anderen Ebenen nicht honoriert wird, was man als Übersetzter leistet. Daher ist es wichtig, dass man aus der Tätigkeit die Befriedigung hat, sonst gibt es wenig Motivation in diesen Beruf zu gehen. Zudem lässt sich die Bedeutung des kollegialen Umfelds betonen. Das ist was, dass mir immer wieder zeigt, dass ich an der richtigen Stelle bin. Es gibt ganz tolle Kolleginnen und Kollegen, mit denen man zu tun hat.
Wie kann man Mitglied im VdÜ werden und welche Vorteile bringt dies?
Es war für mich wichtig, Mitleid zu werden. Vor allem kann man dadurch Beratung bei vertraglichen Angelegenheiten bekommen. Dies ist gerade bei Berufseinstieg wichtig. Zudem ist der Austausch mit Kolleginnen und Kollegen sehr wichtig. Man wird einfach Mitglied, wenn man einen Antrag auf Mitgliedschaft stellt. Den Mitgliedschaftsantrag findet man auf der Homepage. Man kann zudem auch Kandidat werden, wenn man noch Student ist und noch nicht das Berufsleben führt. Dadurch kann man sich eine Zeit lang die Arbeit anschauen.
Das Gespräch fand am 26.01.2020 digital statt. Wir bedanken uns ganz herzlich bei Herrn Weiler für seine Zeit.
Text: Nare Ghazaryan und Ivana Zikić
Redaktion: Franziska Günther