„Viele Wiederholungen, bestimmte Metaphern, lange Sätze, die Wahl des Sprachstils, das alles hat der Autor bewusst so gewählt und der Übersetzer, als neutraler Vermittler, muss es genauso wiedergeben.“
Für die Durchführung des Übersetzungsworkshops hatte das Institut für Slavistik die Übersetzerin Vera Bischitzky eingeladen. Mit ihren Erfahrungen konnte Frau Bischitzky den Studierenden ein realistisches Bild vom Beruf des literarischen Übersetzers/der literarischen Übersetzerin vermitteln. Im Dialog haben die Studierenden erfahren, wie ÜbersetzerInnen an Aufträge kommen, wie sie ihren Alltag organisieren und welche Charaktereigenschaften und Anforderungen sie mitbringen sollten. Anhand ihrer Neuübersetzung von Nikolaj Gogols Tote Seelen, ein sehr umfangreicher literarischer Text, hat sie die Studierenden mit ihrer genauen Arbeitsweise bekannt gemacht (sie hat die Übersetzung mehrere Male komplett überarbeitet) und schnell war klar, dass man vor allem Leidenschaft braucht, um sich einer so großen Aufgabe zu stellen. Die Übersetzung eines Werkes in solchem Umfang verlangt von der Person, die den Text bearbeitet, dass sie sich zu organisieren weiß, da sie Jahre daran arbeiten wird. Des Weiteren wird sie auf einige Probleme stoßen, die teilweise unübliche Recherchemethoden erfordern, sie wird ihre Arbeit immer und immer wieder überarbeiten und das die meiste Zeit allein. Wer gerne in Gesellschaft ist, dem wird das vielleicht etwas schwer fallen. Trotzdem wird ein Netzwerk von Menschen benötigt, die die Arbeit unterstützen, sei es als Informationsquelle oder Probeleser, die ein hohes Maß an Wissbegierde mitbringen, um sich Hintergründe, Sprichwörter und ein großes Reservoir an Worten und Wissen anzueignen.
Vor Allem aber ist eine sehr gute Kenntnis der Fremd- und auch der Muttersprache notwendig. Dazu gab es als Negativbeispiel einen kurzen Text mit Wortkreationen aus dem echten Leben. Darin hatte Frau Bischitzky Kombinationen wie Mittagslunch, erstes Debüt, Chai-Tee oder auch visuell gesehen, die ihr allesamt im Alltag begegnet sind, gesammelt, um den Studierenden zu verdeutlichen, dass man selbst in Zeitung und anderen Medien die unmöglichsten Beispiele findet und die eigene Muttersprache pflegen und verfeinern muss.
In dem Workshop ging es um den Umgang mit Problemen beim Übersetzen. So hatte man während des Workshops die Möglichkeit über Probleme der eigenen Übersetzungen, die im Rahmen des Seminars angefertigt wurden, zu sprechen. So wurde zum Beispiel gefragt, wie man Dialekte und Russizismen übersetzen kann. Die Übersetzung von Dialekten erfordert ein bisschen Kreativität. Um diese anzuregen, hat Frau Bischitzky einen Auszug aus Der Sohn des Kantors von Scholem Alejchem vorgelesen, in dem man eine Mischung aus Deutsch, Jiddisch und Englisch findet, um den Studierenden ein Beispiel zu geben. Mit den Russizismen ist es etwas schwieriger. Oft sind es Worte, die keine wirkliche Entsprechung im Deutschen haben. Was kann man dann tun? Die Übersetzerin schaut dann zum Beispiel in andere Übersetzungen, sofern vorhanden, und stellt meist fest, dass frühere Übersetzer auch hier fast immer gestolpert sind. Sie versucht dann durch Recherche eigene Lösungen zu finden. Einmal, es ging um einen ihr unbekannten Billardbegriff, der in einem Theaterstück von Anton Tschechow erwähnt wurde, hat sie sogar einen Filmregisseur angerufen, um das Wort zu ermitteln. Gelöst wurde das Problem letztendlich von einem Bekannten der Ehefrau des Hausarztes von Frau Bischitzky, der diese russische Form des Billardspiels kannte. Es zeigt sich also, dass man als Übersetzer literarischer Texte auch kreativ und mutig sein muss und nicht so leicht aufgeben darf.
Sollte sich einmal wirklich keine Lösung finden lassen, so kann man das Wort in einer Anmerkung erklären. Allerdings ist das nicht besonders schön und sollte möglichst nicht zu oft passieren. Die Studierenden wurden außerdem ausdrücklich darauf hingewiesen, dass man in literarischen Übersetzungen auch darauf achten muss, das Lokalkolorit zu erhalten. So kann beispielsweise ein typisch russisches Gericht wie pirog „rassol´nik“, nicht mit dem Namen eines anderen Gerichtes übersetzt werden. In diesem Fall wurde beispielsweise mince pie in einer englischen Übersetzung gefunden. Ebenfalls sehr wichtig beim Übersetzen ist es, dem Stil des Autors zu folgen. Viele Wiederholungen, bestimmte Metaphern, lange Sätze, die Wahl des Sprachstils, das alles hat der Autor bewusst so gewählt und der Übersetzer, als neutraler Vermittler, muss es genauso wiedergeben.
Es wurde auch an konkreten Beispielen aus Tote Seelen gearbeitet um bestimmte Probleme zu verdeutlichen, so zum Beispiel für die russische Anrede matuschka in „У Вас, матушка, хорошая деревенька. Сколько в ней душ?» eine deutsche Entsprechung zu finden, die der konkreten Bedeutung und Situation im Text entspricht. Die Übersetzung für dieses Wort ist eigentlich Mütterchen oder Mutter. Aus der Situation des Textes heraus (Tschitschikow versucht einer Gutsbesitzerin ihre (toten) Revisionsseelen abzukaufen, umschmeichelt sie, sieht aber auch auf sie herab) wird deutlich, dass Mütterchen hier nicht ganz passt. Man muss die leichte Abwertung erkennen können. So wurde sich auf Meine Gute oder auch Gute Frau geeinigt.
Ein weiteres Beispiel bei den Übersetzungen war die vielfältige Verwendung des kleinen Wortes ну. Je nach Situation kann es beispielsweise mit und, also, he, oder auch na übersetzt werden und kann den Sinn einer Aussage komplett verändern Ну, вот тебе постель готова.- Also, jetzt ist dein Bett fertig. Ну, что Вы это говорите! – Was reden Sie denn da! Ну, так что же? – Also, was ist denn jetzt? Man muss natürlich immer die Situation betrachten, um den semantischen Zusammenhang richtig zu erfassen.
Insgesamt war der Workshop sehr lehrreich, interessant und hat den Studierenden Spaß gemacht. Frau Bischitzky hat den Teilnehmern anhand ihrer Erfahrungen einen sehr guten Einblick in das Berufsbild der/des literarischen ÜbersetzerIn gegeben, ist auf Fragen eingegangen und hat das Wochenende mit musikalischen, lyrischen und visuellen Beiträgen sehr unterhaltsam gestaltet.
Autorin: Anna Neumann