Am Institut für Slavistik der Universität Hamburg bot unsere Projektleiterin Frau Prof. Dr. Anja Tippner im Sommersemester 2019 das Seminar „Kosmopolen? Polnische Literatur im europäischen Kontext“ an. Im Rahmen dessen wurde eine Exkursion nach Warschau mit Besuch der dortigen jährlichen Buchmesse vorbereitet, auf der einige SeminarteilnehmerInnen und Projektmitglieder von Go East – Go West! eine Autorinnenlesung mit Olga Tokarczuk veranstalteten, die mittlerweile Nobelpreisträgerin ist.
Einige subjektive Eindrücke von dieser Exkursion könnt Ihr hier in ausgewählten Berichten nachlesen.
Viel Spaß!
GEGW-Redaktion
VORWORT
Unsere Reise wird mehrere für uns bedeutsame Stationen haben, aus denen sich Begegnungen, Anregungen und neue Erkenntnisse, vielleicht sogar Ziele ergeben werden.
Lassen sich schließlich noch einige Punkte bestimmen, die den mit einer Reise verbundenen Tapetenwechsel ausmachen? Das Bedürfnis nach dem Verlassen des eigenen Standorts entlarvt uns als Neugierige, Getriebene, die damit auch ihre Standpunkte indirekt hinterfragen. Die Eindrücke von unterwegs sind meist vielschichtig, ein beständiger Wechsel von Konzentration und Entspannung, Genuss und Vertiefung, Verunsicherung im Umgang mit Fremdartigem ebenso wie das Entdecken von Vertrautem, oft auch bei Menschen, die einem eben noch fremd waren. Fast immer folgt der gleichbleibende Rhythmus des Lebens in Gegenden fernab des eigenen Wohnorts einigen vom Bekannten abweichenden Regeln. Vieles wird flüchtig bleiben, manches wird sich uns einprägen, jedem/jeder allerdings etwas anderes.
Nach der eingehenden Analyse und Besprechung, der wir Olga Tokarczuks Buch Bieguni [Unrast] unterzogen haben, fällt es immer noch schwer, ein Leitmotiv zu benennen, das dieses erratische Textkorpus durchwirkt und das ich als federführend empfinde. Ein wichtiger Schlüssel scheint mir aber zu sein, dass Tokarczuks Welt gleichzeitig analytisch-wissenschaftlich wie skurril, irrational und mythisch ist. Sie widersetzt sich gleichsam ihrer neuzeitlichen Entzauberung
Doch erwartet uns in Warschau noch mehr als die Lesung am vorletzten Tag der Reise, auf die man sich einzustimmen versucht, indem man im Stillen oder im Gespräch die Eindrücke aus der Lektüre noch einmal Revue passieren lässt.
Joachim Körner
MESSEBERICHTE
Im Rahmen des Seminars Kosmopolen? besuchten einige SeminarteilnehmerInnen und ich am 24. und 25. Mai 2019 die jährliche Buchmesse in der Hauptstadt Polens, die nun zum zehnten Mal stattfand. Drei Tage dauerte die Warschauer Buchmesse im Stadion Narodowy [Nationalstadion] und wurde von 80400 Menschen besucht. An 800 Messeständen konnten insgesamt 27 Länder erkundet werden. 1038 Künstler stellten auf der Buchmesse ihre Werke vor – darunter SchriftstellerInnen, IllustratorInnen und ÜbersetzerInnen. Es gab die Möglichkeit verschiedene Bücherstände, Diskussionsrunden und AutorInnentreffen zu besuchen. An zwei Ständen führte ich kurze Interviews durch.
Hierzu gehörte, unter anderem, der Messestand Weißrusslands, wo gleich mehrere staatliche Verlage vorgestellt wurden. Die zwei verantwortlichen Mitarbeiterinnen des Standes haben mir folgendes berichtet: Sie stellten mehrere Buchverlage aus Weißrussland vor. Ziel sei nicht, Bücher zu verkaufen, sondern auf sich aufmerksam zu machen, Kontakte zu knüpfen und später vielleicht Verträge abzuschließen. Die Personen, die die Mitarbeiterinnen des Bücherstandes kontaktierten, interessierten sich meistens für Bildungsliteratur und Wörterbücher, historische Literatur oder Literatur über die Ukraine. Sehr großes Interesse bestehe an Büchern über den Zweiten Weltkrieg. Um möglichst viele VerlagsvertreterInnen, ÜbersetzerInnen oder LiteraturagentInnen von der weißrussischen Literatur zu überzeugen, präsentiere man ein breites Spektrum an Literatur.
Ludmilla Weimer
VERGLEICH DER BUCHMESSEN WARSCHAU UND LEIPZIG
Eine Buchmesse ist immer auch ein Spiegelbild der gesellschaftlichen Tendenzen, denn was herausgegeben und gelesen wird, gibt alle Facetten des Alltags wieder. Die kleinen Buchhandlungen sind abhängig vom Geschmack des Händlers, die Großen wiederum verkaufen alles, was aus einer Druckerei kommt – beide sind daher wenig repräsentativ. Die Perspektive, die sich einem auf einer Buchmesse eröffnet, ist deutlich breiter und es lassen sich Schlüsse darüber ziehen, was die Gesellschaft im Moment umtreibt, welches Interesse die Leserschaft hat und welche Themen relevant sind.
Die Warschauer Buchmesse ist da keine Ausnahme. Trotz geringer Sprachkenntnisse des Polnischen bin ich auf ein paar Momente aufmerksam geworden, die ich mit der Leipziger Buchmesse, die ich im März 2019 im Rahmen von Go East – Go West! besucht habe, vergleichen möchte.
Im Jahr 2019 zählte die größte Buchmesse Polens 80400 BesucherInnen und 800 AusstellerInnen aus 27 Ländern. 1038 SchriftstellerInnen nahmen teil, trafen sich mit den LeserInnen und führten Gespräche, gaben Autogrammstunden oder Interviews. In den letzten Jahren blieben diese Zahlen ungefähr gleich.
Die Leipziger Buchmesse, die zweitgrößte Buchmesse Deutschlands, hatte im selben Jahr 286000 BesucherInnen und 2547 AusstellerInnen aus 46 Ländern. Die Zahlen steigen kontinuierlich, wobei man den Eindruck bekommt, dass das Messegelände mittlerweile viel zu klein für den Ansturm ist.
Wenn es um die Buchverkäufe auf Buchmessen geht, sind diese Zahlen wenig aussagekräftig, da nicht jede/r AusstellerIn mit der Absicht teilnimmt, Bücher zu verkaufen. In Warschau konnte man allerdings direkt am Stand der heimischen Verlage kaufen, in Leipzig hingegen war dies nur in der Messebuchhandlung möglich, wobei die Zahl der angebotenen Artikel ziemlich klein war. Der Fokus der Warschauer Buchmesse auf potenzielle KäuferInnen war nicht zu übersehen. Anders als in Leipzig wollten die meisten Stände nicht nur informieren, sondern Werbung machen, sowohl für den Verlag als auch für die neuesten Auflagen. Mit wenigen Ausnahmen dient der Stand in Warschau nicht als Ort für Kontakt zwischen AutorIn und LeserIn. Dort wird verkauft und verhandelt.
In Leipzig dagegen kann man sich ausführlich informieren und erst später die Entscheidung treffen, ob der Kauf sich lohnt. Die VerlegerInnen sehen als Ziel den Aufbau des Kontakts zu internationalen AgentInnen, die auf der Suche nach möglichen Übersetzungen aus dem oder ins Deutsche sind.
Das Spektrum ist zwar breit gefächert, vom Groschenroman bis zur wissenschaftlichen Literatur, trotzdem verlässt die/den unvorbereiteten BesucherIn, ohne Kenntnisse der polnischen Sprache, nicht das Gefühl der Einseitigkeit und Verschlossenheit des polnischen Buchmarkts.
Gäste der Leipziger Buchmesse kommen aus der ganzen Welt, von jedem Kontinent. Die meisten Gespräche führt man auf Englisch, das stört niemanden: Leipzig ist ein Schauplatz internationalen Maßstabs. Die Romane werden sogar nicht nur auf Deutsch oder Englisch präsentiert: die deutsche Leserschaft interessiert sich vor allem für die internationale Literatur und ist bereit, Originale zu lesen und an den Diskussionen in der Muttersprache der AutorInnen teilzunehmen.
Nichtsdestotrotz kann Leipzig einiges von Warschau lernen. Die deutsche Literatur geht hier im Meer der internationalen Bücher unter und bleibt auch in Leipzig eine Stieftochter. Die polnische Literatur steht in Warschau im Vordergrund, weil es selbstverständlich keinen besseren Ort gibt, sie zu präsentieren als zuhause. Eine Buchmesse ohne Preisvergabe wie die Warschauer versteht sich nicht als maßgebende Instanz und stellt die Vielfalt der Literatur vor, ohne die einzelnen Bücher hervorzuheben.
Roman Clawien
DER WEISSRUSSISCHE LÄNDERSTAND
Neben zahlreichen internationalen Verlagen und polnischen „heavy hitters“ wurden auch zwei staatliche Verlage aus Weißrussland, Riftur und Narodnaja Asveta, vorgestellt. Weißrussland ist aufgrund seiner einzigartigen Lage zwischen Ost und West multikulturell geprägt und möchte dies durch Publikationen zeigen. Im Gespräch mit den VertreterInnen der weißrussischen Verlage wird deutlich, dass verschiedene Versuche unternommen werden, das weißrussische Buch dem Rest der Welt vorzustellen. Eine der effektivsten Methoden ist die Mitwirkung an internationalen Buchforen. Die Teilnahme an Buchmessen ist hierbei nicht nur Werbung für jegliche Publikationen, sondern eine Chance für Verlage internationale Kontakte zu knüpfen, da sich daraus eine erfolgreiche Zusammenarbeit entwickeln kann. Erste Kontakte zwischen der weißrussischen Buchhandlungskette Belkniga und der polnischen Niederlassung des Handelsunternehmens Lagardère Travel Retail wurden bereits auf einer Buchmesse in China 2018 geknüpft.
Weiterhin wurde im Gespräch die Frage zum Vertrieb weißrussischer Bücher in Polen aufgeworfen: Das polnische Buch-Institut, Instytut Książki, habe sich zu einer Zusammenarbeit bereit erklärt und es bestehe bereits eine vorläufige Vereinbarung über die Veröffentlichung polnischer AutorInnen in Weißrussland und weißrussischer AutorInnen in Polen. Zunächst wird der Verlag Mastackaja Literatura den Roman Madame des berühmten polnischen Autors Antoni Libera in Weißrussland veröffentlichen, da der Roman bereits in Dutzende Sprachen übersetzt wurde und viel positive Resonanz erhalten hat. Es wird erwartet, dass Madame auch in Weißrussland ein breites Publikum ansprechen wird.
Über wegweisende Projekte weißrussischer Verlage konnte man sich ebenfalls am Stand in-formieren. Den BesucherInnen wurden aber vor allem Bücher, die dem 75. Jahrestag der Befreiung des Todeslagers von Ozariči gewidmet wurden, präsentiert und dienten als Aushängeschild des Messestandes.
VERGLEICH DER VERLAGE CZARNE UND KARAKTER
Im Trubel der Buchmesse droht der kleine Eckstand beinahe unterzugehen. Er besteht aus einer schlichten Buchauslage, einer Posterwand mit den neusten Erscheinungen und einem Banner mit dem Verlagsnamen, das ihn als Karakter ausweist.
Der Verlag Karakter besteht seit 2008 und publiziert laut Internetseite „alles, was uns gefällt“. Er wolle mit kulturellen Stereotypen aufräumen, neue Themen, neue Sensibilitäten und eine frische Ästhetik in der polnischen Kultur in Umlauf bringen. Auf den ersten Blick wird deutlich, welchen hohen Stellenwert hier Essayistik sowie Bücher, die sich Design, Kunst und Architektur widmen, haben. Die Auslage wirkt durch die klare, beinahe minimalistische Buchdeckelgestaltung sehr ordentlich und übersichtlich.
Neben dem polnischen Designer Marcin Wicha, der ein Buch über die Gegenstände schreibt, die er aus dem Nachlass seiner Mutter behalten hat (Rzeczy, których nie wyrzuciłem – Dinge, die ich nicht weggeworfen habe), befindet sich die Übersetzung von Didier Eribons internationalem Bestseller Powrót do Reims [Rückkehr nach Reims]. Daneben ein autobiografischer Familienroman von Marciej Zaremba Bielawski, Spross alten polnischen Adels und einer jüdischen Dynastie (Dom z dwiema wieżami – Haus mit zwei Türmen). Weiterhin findet sich das eindrückliche blau-gelbe Cover von Rebecca Solnits Nadzieja w mroku (Hoffnung in der Dunkelheit: Unendliche Geschichten – wilde Möglichkeiten).
Unter den Publikationen des Verlags finden sich Serien zu verschiedenen Kategorien: neben Architektur, Design, Essays und Fotografie, auch Wakacje 2019 [Sommerferien 2019], eine „japanische Serie“ sowie die Serie Mówi Muzeum [Das Museum spricht], die in Zusammenarbeit mit dem Warschauer Museum für zeitgenössische Kunst entsteht.
Karakter vertreibt sowohl Belletristik als auch non-fiction Bücher von AutorInnen aus afrikanischen Ländern, Asien und der Karibik. Nach eigener Aussage schöpft der Verlag aber auch aus der europäischen Buchtradition – der Name Karakter bezeichnete im Polnischen des 16. Jahrhunderts die Schriftart/type.
Nicht weit vom Messestand des Verlags Karakter entfernt befindet sich die Vertretung einer Institution der polnischen Verlagslandschaft: Wydawnictwo Czarne. Allein die Aufmachung und Größe des Standes zeugen von dessen Wichtigkeit. Der Verlag Czarne, 1996 gegründet, spezialisierte sich lange auf Sachbücher, Essayistik und Reportagen. Besonderen Umsatz dürften dem Verlag die Übersetzungen von renommierten AutorInnen, wie der Nobelpreisträgerin Svetlana Aleksievič und Jean Hatzfeld, sowie die Reportagen ihrer polnischen Kollegen Andrzej Stasiuk und Filip Springer bringen. Sie stehen für das Profil des Verlags, das auf Reiseliteratur, Dokumentarliteratur, Biografien und historischen Büchern basiert. Neuste Erscheinungen verraten jedoch den Ausbau der Sparte Umweltliteratur: so finden sich immer mehr Bücher zur Reaktorkatastrophe in ‚Černobyl‘, darunter Neuauflagen von Alexijevič.
Auch der Czarne-Verlag hat sein Sortiment durch eine Reihe von Serien erweitert, die den Stöbernden die Suche nach geeigneter Literatur durch einheitliche Buchdeckelgestaltung erleichtern. Unter den verschiedenen, sehr breit gefächerten Serien, sind unter anderem folgende Themen: Städte, Tiere, „Frontlinien“ also Kriegsbücher und Klassik, vor allem aus dem internationalen Kanon mit vielen englischen und deutschsprachigen Autoren.
Zudem werden im Verlag Serien veröffentlicht. Unter „Anderes Europa-Andere Literatur“ erscheinen Bücher von AutorInnen vom Balkan, aus Belarus, der Ukraine, aber auch aus Tschetschenien. In „Dolce Vita“ finden sich mit floralen Mustern gestaltete Koch- und Kräuterbücher, während „Black Publishing“, also die wörtliche Übersetzung von Wydawnictwo Czarne, romantische Romane mit kitschigen Covern vertreibt. Seit ungefähr 15 Jahren gibt es in der polnischen Literatur einen Trend zu Thriller und Krimis. Czarne hat hier Texte überwiegend polnischer AutorInnen im Angebot. Außerdem gibt es eine Serie mit Biografien polnischer KünstlerInnenpersönlichkeiten, von der Malerin und Zeichnerin Maja Berezowska bis zu Kornel Makuszyński, sowie eine „Amerikanische Serie“, die der polnischen Leserschaft die USA kulturell näher bringen soll, mittels Bücher über die Brüder Wright und andere Säulen der imaginierten US-Amerikansichen Kultur. Für Lokalkolorit sorgt die Serie Zakopiańska, die durch Buchdeckelgestaltung mit historischen Sepiafotografien aus Zakopane, den Trend zu nostalgischer Rückbesinnung auf die Zweite Republik, also das Polen der Zwischenkriegszeit, illustriert.
Mit einem derart breitgefächerten Angebot an Texten, für alle Interessengebiete und eine möglichst breite Leserschaft, wirkt der Stand beinahe überladen. Große Poster bewerben die Stars unter den Autoren der Neuerscheinungen und die Regale sind von oben nach unten mit Büchern aus den sehr unterschiedlichen Serien bestückt.
Es macht den Eindruck, als habe der Czarne-Verlag vor über zwanzig Jahren dort angefangen, wo Karakter heute steht und sich dann stetig erweitert. Dennoch scheint der Verlag auf den Umsatz aus populären Sparten wie romantische Romane und Krimis angewiesen zu sein, während Karakter bewusst eine ausgewählte, bildungsbürgerliche und kosmopolitische Leserschaft adressiert.
Nach dem Rummel im stickigen Stadion und der absoluten Reizüberflutung eines ganzen Tages auf der Buchmesse, strömen die BesucherInnen auf die Stufen vor dem Stadion in einen warmen Warschauer Abend hinein. Bibliophile aus den unterschiedlichsten Regionen haben sich eingefunden – manche hasten zur Straßenbahn, andere stöbern noch ein wenig im Outlet-Zelt, wieder andere setzen sich erstmal, um ihre neu erstandenen Bücher zu begutachten. Auch ich gehöre zu ihnen. Ich setze mich auf die Stufen und fürchte den Tag, an dem auch der letzte ruhige, gemütliche kleine Buchladen den Empiks, Dussmanns und Messehallen der Welt weichen wird.
Alina Sobotta
„NICHT DU SOLLST SPASS HABEN BEIM SCHREIBEN DEINER BÜCHER, IM BESTEN FALL SOLLTEST DU SOGAR ADBEI LEIDEN, DEN SPASS SOLLTE DEINE LESERSCHAFT BEIM LESEN DEINER BÜCHER HABEN.“
– Marek Krajewski
Lange Zeit gab es in Polen keine Autoren, die Kriminalromane schrieben. Erst mit Marek Krajewski und seinem Protagonisten Eberhard Mock wurde es lauter um die polnische Kriminalliteratur.
Während des Vortrags kam auch in Bezug auf den Hauptprotagonisten die interessante Frage „Inwieweit es Gemeinsamkeiten zwischen Eberhard Mock und Marek Krajewski gibt?“ auf. Krajewski schmunzelte beim Beantworten der Frage, denn er hat seinen Protagonisten mit seinen Charaktereigenschaften ausgestattet.
Er bezeichnet sich und somit auch Eberhard Mock als eine sehr pedantische Person. Als Beispiel hierfür nannte er den Vorabend vor den Unterrichtsstunden in der Uni, welche Krajewski gab. Denn er hielt seinen Unterricht immer im Anzug, allerdings hieß das für ihn auch, dass er jeden Abend schauen musste, ob die Krawatte, das Hemd und das Sakko farblich miteinander harmonieren. Des Weiteren muss Marek Krajewski immer saubere Schuhe haben. Das Gleiche gilt auch für seinen Protagonisten Eberhard Mock, denn wenn dieser seinen perfekt mit Schuhcreme eingeriebenen Schuh an eine Bordsteinkante stößt, fängt er an, zu fluchen. Marek Krajewski kann das gut nachvollziehen, denn er würde ebenfalls so reagieren. Beide sind Liebhaber der klassischen Philologie und gehen zum gleichen Friseur, erklärt Krajewski mit seiner rauen, feurigen Stimme.
Er betonte allerdings auch, dass es gravierende Unterschiede zwischen ihm und Eberhard Mock gäbe. Er trinke beispielsweise schon lange keinen Alkohol mehr, nicht mal einen Tropfen, sein Protagonist Eberhard Mock hingegen trinkt sehr gerne und gibt sich dem Narkotismus hin, raucht gerne Zigaretten und das tut Marek Krajewski schon eine halbe Ewigkeit nicht mehr. Außerdem bewegt sich sein Protagonist im Rotlichtmilieu, um seine „emotionalen Bedürfnisse“ zu stillen, Krajewski hingegen ist seit 30 Jahren glücklich mit seiner Frau verheiratet.
Elena Weyer
NACHWORT
Ich suche drei Stände aus dem weltanschaulich-religiösen Segment auf und erlebe dabei gleich mehrere Überraschungen.
Der Vocatio-Verlag bewirbt eine Bibelausgabe, deren alttestamentlicher Teil sich auf die sog. Septuaginta stützt, eine griechische Übersetzung des Alten Testaments (AT), die in der frühen Kirche und bei den Zeitgenossen Jesu in Gebrauch war. Da das AT zum größten Teil auf Hebräisch verfasst wurde, beruhen seine geläufigen Übersetzungen auf den ältesten derzeit bekannten hebräischen Vorlagen, die um 1000 n.Chr. entstanden sind, dem sog. Masoretischen Text. Darüber, dass diese ältesten bekannten hebräischen Textzeugen und nicht die Septuaginta Grundlage der Erschließung des ATs sein sollen, herrschte bisher m. E. ein alle christlichen Kirchen und Konfessionen übergreifender exegetischer Konsens. Dieser Konsens wird hier de facto aufgekündigt; auf seiner Webseite bezeichnet Vocatio die Septuaginta sogar als deuterokanonisch, was eine Nähe zum kanonischen Umfang des ATs unterstellt, die nicht gegeben ist. Richtig ist allerdings, dass der größere, genauer, der hellenistisch geprägte Teil der frühen Christenheit, bevor das Neue Testament entstand und in Gebrauch kam, vor allem das AT nach der Septuaginta quasi als seine Bibel las. Verfasser der polnischen Septuaginta-Übersetzung ist der 2014 verstorbene Altphilologe Prof. Dr. Remigiusz Popowski, der zuletzt an der katholischen Universität Lublin lehrte.
Beim Ahriman-Verlag, der einen aus dem Deutschen übersetzten „Rückblick auf den Feminismus“ anbietet, lege ich den nächsten Stopp ein. Soweit ich das Inhaltsverzeichnis und die Einleitung richtig verstehe, geht es dabei um eine Art Abrechnung mit dem (?) Feminismus als Spielverderber insbesondere der sexuellen Freiheiten, die im Zuge der 1968er-Bewegung entdeckt worden waren. Das scheint die Kernthese der Autorin zu sein. Ist es legitim, die feministische Bewegung implizit für abgeschlossen zu erklären, will ich von einer der Damen hinter dem Tresen wissen. Nach meiner Erinnerung gehörte diese Bewegung, die ihre europäischen Zentren damals in den 1970er und 80er Jahren in Frankreich, Westdeutschland und Italien hatte, nicht zu dem, was über den eisernen Vorhang nach Polen hinüber schwappte. Eher waren es unsere Modezeitschriften. Und nach 1990? Wenn es heute dort in intellektuell interessierten Kreisen ein Bild des Feminismus gibt, das womöglich sogar das Wissen über seine historische Entwicklung einschließt, ist es dann mehr als ein Zerrbild, das ihn auf einen Bruch mit dem traditionellen Frauenbild reduziert? Mir scheint, dass der polnische Mainstream weitgehend an einem im Wesentlichen weiterhin traditionellen Frauenbild festhält. Und so würde auch das Anliegen des Buchs allenfalls dahingehend affirmativ missverstanden werden, dass man sich in seinem Vorurteil bestätigt fühlt, dass der Feminismus nichts taugt, ohne dass man sich deshalb auch die von den 68ern erstrittene Liberalisierung der Sexualität zu eigen machen wollte, denn die wider-spräche ja auch dem weiterhin anerkannten Sitten- und Verhaltenskodex für ‚anständige‘ Frauen. Doch findet das Buch in Polen seinen Absatz, versichert mir der Übersetzer.
Schließlich stoße ich auf einen Stand, der eine polnische Übersetzung des Korans anbietet. Dahinter stehen zwei Vertreter der sog. Ahmadiyya, einer islamischen Gemeinschaft, die in ihrem Gründer Hadrat Ahmad den Messias gekommen sieht, der von mehreren Weltreligionen erwartet wird. Mittlerweile leitet der fünfte Kalif nach dem Tod des Gründers die Gemeinschaft. Ein kleines Informationsflugblatt betont vor allem den friedlichen Charakter des Islam, die Anerkennung des göttlichen Ursprungs aller anderen Religionen, die Gleichberechtigung von Mann und Frau sowie die Religionsfreiheit im Islam. Einer der Herren stammt aus Syrien, spricht fließend polnisch und ist in Polen eingebürgert. Da die Weigerung der derzeitigen polnischen Regierung, Flüchtlinge aus dem Nahen Osten aufzunehmen, offiziell auch mit der Abwehr islamischer Einflüsse begründet wird, bin ich erstaunt zu hören, dass der Warschauer Ableger der Ahmadiyya offenbar respektiert wird, kaum Anfeindungen erlebt und keinen Schikanen ausgesetzt ist.
Bei unserer Lesung mit Olga Tokarczuk begegnet mir das Thema Weltanschauung und Religion in Polen noch einmal in anderer Form: All ihren Büchern scheint, so Frau Molisak in ihrer Frage, ein gewisses Interesse am Häretischen, dem, was vom Großkirchlichen religiös abweicht, eigen zu sein, was Frau Tokarczuk bestätigt.
Joachim Körner
Redaktion: Franziska Günther