Original:
Михаил Пак – Сеульские каникулы
(der gesamte Roman online)
Übersetzung:
Michail Pak „Ferien in Seoul“
- Kapitel
Auf dem Flug von Moskau nach Seoul
Meine Mitreisende Maria
Im Herbst 2009 ging es für mich wieder einmal nach Seoul.
Es war bereits der einundzwanzigste Besuch meiner historischen Heimat.
In siebeneinhalb Stunden hatte die koreanische Boeing die Distanz zwischen Moskau- Scheremetjewo und Seoul-Incheon überwunden.
Das Flugzeug teilten sich mit mir unter anderem eine Gesellschaft koreanischer Geschäftsmänner, die in Moskau arbeiteten, ältere Touristen aus Hongkong, ukrainische Matrosen, die sich auf der Durchreise nach Neuseeland zur Befrachtung ihres Schiffes befanden, und Studenten.
Auf dem Platz neben mir saß Maria Iwkina, eine achtzehnjährige Moskauerin. Das Mädchen flog zum ersten Mal nach Korea.
Es erwartete sie eine Woche bei einer koreanischen Familie. Dabei handelt es sich um eine Art kulturellen Austausch.
,,Letztes Jahr hat eine Koreanerin bei uns gewohnt; Soojung hieß sie“, erzählte meine Mitreisende. ,,Sie konnte ganz gut Russisch sprechen. Ich bin mit ihr in die Tretjakow-Galerie und zum Roten Platz gegangen und danach haben wir eine Bootsfahrt auf dem Moskva-Fluss gemacht. Wir hatten echt eine lustige Zeit. Tja, und jetzt bin ich dran, sie zu besuchen.“
,,Das heißt, Sie studieren Koreanisch?“, fragte ich sie.
,,Genau“, antwortete Mascha[1], ,,ich bin sehr gespannt, aber auch ein bisschen nervös. Andere Länder, andere Sitten… Soojungs Eltern bringe ich einen Samowar mit. Elektrisch und schön verziert. Ich hoffe nur, er gefällt ihnen.“
,,Wird es“, versicherte ich ihr. ,,Das ist ein tolles Geschenk!“
,,Gut“, antwortete das Mädchen beruhigt und fragte interessiert: ,,Und warum fliegen Sie nach Seoul?“
,,Um Ferien zu machen“.
Meine Gesprächspartnerin warf mir einen forschenden Blick zu: ,,Unter Ferien kann man vieles verstehen.“
,,Ich begebe mich auf eine kreative Reise“, präzisierte ich und begann mit meiner Erklärung: ,,Zwei Stunden Busfahrt entfernt von Seoul liegt ein Städtchen namens Wonju. An dessen Stadtrand liegt zwischen malerischen Gebirgen die Kulturstiftung Toji. So was wie unser Künstlerdorf Peredelkino. Nun ja, und Toji hat mir ein Stipendium für vier Monate zur Verfügung gestellt.“
,,Und was machen Sie dort?“, hakte Mascha nach.
,,Die Leute kommen dorthin, um in Ruhe zu arbeiten.“
,,An was arbeiten sie denn?“
,,Naja, an ihren Erzählungen, Novellen, Romanen…“
,,Ach so, das heißt, Sie sind Schriftsteller?“
,,Sieht man es mir nicht an?“
,,Ich wäre niemals darauf gekommen. Eher hätte ich auf Taxi- oder Busfahrer getippt.“
,,Ach ja, das höre ich von allen. Einschließlich den besten Freundinnen meiner Frau. Dabei habe ich nicht mal einen Führerschein. Es ist zum Verzweifeln.“
Wir lachten.
,,Aber jetzt erkennt man es“, korrigierte Mascha sich. ,,Nein, wirklich. Wenn man sich mit Ihnen unterhält, wird es deutlich. Und an was werden Sie in der Kulturstiftung schreiben?“
,,An einem Roman, den ich schon vor einem Jahr begonnen habe.“
,,Cool!“, sagte Mascha. ,,Und worum geht es in dem Roman?“
,,Um die Geschichte eines jungen Mannes, der aus der lauten Großstadt auf eine Insel kommt.“ ,,Kommt auch Liebe darin vor?“
,,Schon möglich“, lächelte ich.
,,Verstanden“, Mascha lächelte bei ihrer Antwort ebenfalls. ,,Sie sagten ,Toji’, waren Sie dort früher schon einmal?“
,,Nein. Ich weiß nur, dass dieses Haus 2001 aus Geldern erbaut wurde, die die Autorin Park Kyung- Ni durch die Veröffentlichung ihrer Bücher erhielt. Sie kennt in Korea jeder von klein bis groß, sie ist dort so etwas wie Leo Tolstoi in Russland. Ihr bekanntestes Werk ist ein epischer Roman in 26 Bänden, ,,Toji“, was übersetzt ,,Land“ bedeutet. Und so heißt auch die Kulturstiftung. Kunstschaffende aus allen Ecken Koreas – Literaten, Dichter, Kritiker, Drehbuchautoren, Dramaturgen – können dort für ein paar Monate arbeiten, ohne sich Gedanken um ihr täglich Brot machen zu müssen. Vor einem Jahr ist Park Kyung-Ni verstorben. Mittlerweile ist ihre Tochter für die Stiftung zuständig.“
Mascha zog ein Notizbuch hervor und notierte sich den Namen der Schriftstellerin.
,,Und wie wird so ein Werk geboren? Womit fängt alles an?“, fragte das Mädchen nach einer Weile mit dem ernsten Blick einer Interview führenden Journalistin.
,,Das ist bei jedem unterschiedlich“, antwortete ich. „Was mich betrifft beginnt es mit einer belanglosen Kleinigkeit, die den Anstoß einer Idee gibt… Meine Aufgabe besteht darin, die Idee dann zu entwickeln und zu verwirklichen.“
,,Damit das klar ist, ich werde die erste Leserin sein!“, stellte Mascha mit kindlicher Direktheit sicher. ,,Schenken Sie mir ein Exemplar?“
,,Zuerst muss ich es fertigstellen.“
,,Tun Sie das!“
,,Und dann bekommen Sie eins.“
Die Stewardessen begannen das Essen auszuteilen. Das Menü bot europäisches Roastbeef und koreanisches Bibimpab – gekochter Reis mit Gemüse und Fleischscheiben. Mascha und ich nahmen das koreanische Gericht. Das Mädchen füllte den Reis gekonnt aus der Plastikschale in die Schüssel mit dem Gemüse, begoss es mit einer Tube scharfer Gochujang-Paste und vermischte alles. Ihre Freundin Soojung hatte in ihrer Moskauer Wohnung genau so ein Bibimpab zubereitet, sagte sie. Die Passagiere um uns herum verschlangen schweigend ihr Essen, manche von ihnen behielten dabei ihre Kopfhörer an und hörten Musik oder schauten einen Film auf dem Videoplayer, der in der Rückenlehne des Vordersitzes angebracht war.
Schon bald hatten wir unser Mahl beendet und die lieben Stewardessen nahmen die Tablets mit dem dreckigen Geschirr von unseren Tischchen, um dann Karren mit zollfreien Waren über den Gang zu rollen – Duty Free: Parfum und Armbanduhren bekannter Marken, Whiskey, Schmuck und weiteres. Mascha und ich hörten Musik (selbstverständlich jeder seine eigene), schauten Filme, machten Nickerchen oder plauderten zwischendurch miteinander.
Als ich mich dafür interessierte, was meine Sitznachbarin hörte, stellte sich heraus, dass es Jazz war. Mascha gab zu, seit Schulzeiten Jazz zu lieben – ihre Eltern hatten sie dazu gebracht.
,,Wenn das so ist“, sagte ich, ,,muss Soojung auf jeden Fall mit Ihnen ins Sejong Center beim Gwanghwamun-Platz gehen. Da finden oft Jazz-Konzerte statt.“
Mascha schrieb sofort alles in ihr Notizbuch.
[…]
[1] Russische Koseform des weiblichen Vornamens Maria.
Übersetzt von Carolin Maria Penschuk
Betreuung und Korrektur der Übersetzung: Maria Mamaeva, M.A. (Link
auf die Institutsseite)