Nischenwissen ‚Osteuropa‘ als Chance

Nischenwissen ‚Osteuropa‘ als Chance

Ein Interview mit Angelika Eder über den Beruf der Kunst- und Kulturvermittlerin

Das Interesse führte sie in die Kunst- und Kulturvermittlung – der Zufall führte sie in den Osten: Die Historikerin Dr. Angelika Eder ist seit 2017 geschäftsführendes Vorstandsmitglied der Stiftung Genshagen und leitet dort den Bereich „Kunst- und Kulturvermittlung in Europa“. In der Veranstaltungsreihe ‚Was kommt nach dem Studium? Berufsfelder für Osteuropaexpertinnen‘ verrät sie, welche Fertigkeiten Studierende für das Berufsfeld Kultur-vermittlung mitbringen sollten und warum Osteuropa-Expertise ein klarer Vorteil sei.

Eine Dozentenausbildung am Goethe-Institut, DAAD-Lektorin an der University of Liverpool, Leiterin des Goethe-Instituts in Krakau und St. Petersburg und seit 2017 geschäftsführendes Vorstandsmitglied der Stiftung Genshagen: Angelika Eder hat eine beachtliche Laufbahn eingeschlagen. Die Internationalität der Goethe-Institute begeisterte sie schon während ihrer Studienzeit. So absolvierte sie 1989 auch das erste Praktikum in dem Kulturinstitut in Kanada. Das Jahr war ein Wendepunkt für Deutschland und die Ostblockstaaten und prägte ihren beruflichen Weg nachhaltig. Mit minimalen Sprachkenntnissen und Martin Broszats „Zweihundert Jahre deutsche Polenpolitik“ im Gepäck reiste Angelika Eder 1990 nach Polen. Als deutsche Historikerin, so fand sie, musste sie vor ihrem Abschluss dort gewesen sein:

„…, dass ich dann tatsächlich jetzt 12 Jahre meines Berufslebens Im Osten war – das war echt Zufall. Also ich wollte gar nicht nach Prag, ich wollte eigentlich nach Lissabon oder Istanbul, aber ich hatte den Ost-Stempel. Und ich bin da gerne. Vor allem in Polen war ich wahnsinnig gerne und St. Petersburg ist einfach die schönste Stadt, in der ich in meinem ganzen Leben war.“

Kulturvermittlung lebe von Austausch

Die Kunst- und Kulturvermittlung beschreibt Angelika Eder vor allem als Vermittlungsarbeit zwischen Kulturen, bei der gegenseitiges Zuhören im Mittelpunkt stünde. Die Intention der Stiftung Genshagen sei die deutsch-französisch-polnische Zusammenarbeit. Nach der Gründung des Weimarer Dreiecks 1991 wurde die Stiftung zunächst als Verein 1993 in Ostdeutschland in physischer Nähe zu Polen als „Berlin-Brandenburgisches Institut für deutsch-französische Zusammenarbeit in Europa“ eröffnet. Die Stiftung sei ein Ort, an dem Akteur:innen aus Kultur, Politik, Wirtschaft und Wissenschaft  sich in einem geschützten Raum begegnen und austauschen könnten. Eine wünschenswerte Schlüsselkompetenz für die Kunst- und Kulturvermittlung, so Angelika Eder, seien fundierte Sprachkenntnisse:

„Also meine Sprachkenntnisse sind nicht besonders gut. Aber es ist eigentlich, wenn man in einem anderen Land arbeitet, unglaublich wichtig, um die Geschichte dieses Landes zu wissen, auch  in der Wertschätzung, aber wenn man dann die Sprache kann, ja, also ich habe alle Kolleginnen und Kollegen, die die Sprache dann in ihren Gastländern fließend sprechen, die habe ich immer glühend beneidet. Weil das so eine Leichtigkeit hat, ja weil einem auch nichts entgeht. Das hatte ich leider nie.“

Kreativität in jeder Situation

Zu den typischen ‚Genshagen-Formaten‘ gehörten laut Angelika Eder neben bilateralen, trilateralen und europäischen Expertentreffen z.B. auch Bildungsprojekte wie die deutsch-französisch-polnische „Genshagener Sommerschule“ oder öffentliche Veranstaltungen, bei welchen die interessierte Öffentlichkeit mit europäischen Fragestellungen in Berührung gebracht wird. Diese Begegnungsformate seien durch Corona derzeit nur noch eingeschränkt möglich bzw. aktuell Großteiles in den digitalen Raum verlagert worden. Die Pandemie forderte in der Stiftung Genshagen wie bei allen anderen Einrichtungen dieser Art große Anpassung in den Formaten. Für Angelika Eder ist klar: Gerade in solchen Situationen müssen Kunst- und Kulturvermittler:innen flexibel reagieren.

„Also das Prinzip des lebenslangen Lernens – dass man eben zum Beispiel auch in so einer Phase wie Corona in der Lage ist, sein Programm umzustellen. Es gibt dieses Modewort Agilität und das würde ich von jemandem im Kulturbereich immer verlangen. Dass man im Kopf flexibel ist, dass man bereit ist, sich auf was Neues einzulassen und dass man auch einen gewissen Hunger auf Neues hat und nicht sagt: Das haben wir schon immer so gemacht und so machen wir das jetzt auch! “

Neugier sei ausschlaggebend

Nach der Meinung von Frau Angelika Eder solle man die Grund-Flexibilität und Offenheit im Kulturbereich mitbringen. Es sei wichtig Neugier und Interesse an der Kultur anderer Länder zu haben. Man müsse gerne für alles Mögliche offen sein.  Die Mehrsprachigkeit sei auch wichtig, dazu gehört natürlich die Landeskunde, die Geschichte, also diese Sprach- und Kulturkenntnisse von mehreren Kulturräumen.

„Das Wissen über unsere östlichen Nachbarländer ist immer noch echt unterentwickelt. Und ich glaube, dass es ganz viele Bereiche gibt, auch in der Wirtschaft zum Beispiel oder auch in irgendwelchen Ministerien, wo dieses Wissen, dass Sie als Osteuropaexpertinnen und -experten mitbringen, einfach wichtig ist, weil die anderen das nicht haben.“

Unterstützung für den Einstieg

Laut Angelika Eder komme ein Berufseinstieg auf den individuellen Fall an. Man müsse gucken, welche Berufsfelder man durch Praktika erkunden wolle.  Zum Beispiel habe die Deutsche Gesellschaft für Osteuropakunde (https://www.dgo-online.org/) dieses Mentorenprogramm, wo Mentor:innen junge Leute begleiten. Das Mentorenprogramm bei der DGO beziehe sich auf die wissenschaftliche Laufbahn, aber die haben auch solche Mentor:innen wie Angelika Eder, die nicht in der Wissenschaft seien. Angelika Eder findet, es sei eine gute Hilfe auf dem Weg.

„Also, wenn man aus seinem Ort nie rausgekommen ist und man will dann zu diesen großen Dingen was machen – fände ich persönlich nicht so glaubwürdig. Wo ich sagen würde: du musst doch auch selber dich mal im Ausland erfahren haben – wo man auch überlegt als was fühle ich mich, als was verstehe ich mich, wie stelle ich mich anderen vor? Stelle ich mich vor als die aus der Geburtsstadt oder aus der Region oder aus dem Land oder sage ich dann auch nur noch Europa? Wie fühle ich mich selbst? Das muss man doch selbst erfahren haben, um in diesem Bereich tätig sein zu können. Ich würde sagen, sonst ist man nicht glaubwürdig.”  

Auslandserfahrung stärke das Bewusstsein

Wenn jemand in die Auswärtige Kultur- und Bildungspolitik und in die Kulturvermittlung gehen wolle, wenn man diesen Außenblick habe und aus seiner eigenen „Blase“ herausgekommen sei, sei man schon glaubwürdig, findet Angelika Eder. Das müsse gar nicht exotisch sein. Einfach nur, dass man seinen eigenen Bereich verlasse, z. B. reicht es auch aus, ein Praktikum in fachfremden Bereichen zu machen. Dann denke man einfach nochmal nach: Wer bin ich? Was will ich? Was kann ich? Wo will ich hin?

Wir haben uns sehr über die Veranstaltung mit Frau Dr Eder gefreut. An dieser Stelle möchten wir uns im Namen der Studierenden noch einmal ganz herzlich für ihre Zeit und die hilfreichen Tipps bedanken.

Link zur Stiftung Genshagen:  Stiftung Genshagen: Home (stiftung-genshagen.de)

Bericht: Ivana Žikić und Emely Schalles